Donnerstag, 9. April 2015

Federträume

Federträume


Zu zweit saßen sie auf dem Boden der Scheune und unterhielten sich. Es roch nach Stroh und Tieren, für sie ein angenehmer Geruch.
In einer Hand hielt das junge Mädchen eine Feder und zeigte sie dem Jungen neben sich. Er sah sie verwirrt an.
„Manchmal, wenn ich Dinge sehe, stelle ich mir vor, was sie alles schon gesehen und erlebt haben“, erklärte es ihm mit leiser, sanfter Stimme.
Verstehen blitzte in seinen Augen auf. „Also siehst du die Feder und erfindest ihre Lebensgeschichte?“
Sie nickte lächelnd. „So ungefähr.“
Er griff nach der anderen Hand des Mädchens und strich darüber, sah ihr lange in die Augen. Es fühlte sich an, als würde er sie wirklich verstehen. „Und was hat diese Feder bisher so erlebt?“
Ihr Herz raste und ihre blauen Augen wandten sich wieder der Feder zu. Lange betrachtete sie sie. „Sie weiß, was Freiheit ist. Sie hat zu einer Taube gehört, die eigentlich im Besitz von einem alten Mann war, der seine Tauben nur zur Schau hatte und dem sie eigentlich völlig egal waren. Und dann hat sie gemeinsam mit ein paar anderen Tauben beschlossen zu fliehen. Sie sind, als der alte Mann sie endlich mal wieder hat fliegen lassen, aus dem Schwarm heraus und einfach losgeflogen, so lange, bis sie nicht mehr konnten und eine Pause machen mussten.“

Er beobachtete das Mädchen beim Sprechen, sie wirkte nachdenklich und dieser Gesichtsausdruck gefiel ihm. Er zeigte ihm nur noch mehr, dass sie etwas Besonderes war. „Und was passiert dann?“
Überrascht sah sie ihn an, als hätte sie völlig vergessen, dass er da war. „Äh...“
Er wartete geduldig, sein Blick war sanft und liebevoll und das irritierte sie nur noch mehr. So hatte sie noch nie jemand angesehen, erst recht nicht, wenn sie anfing zu erzählen. Sie wurde eher ausgelacht als bewundert. Aber er war anders, er nahm sie ernst und schien nicht abgeneigt zu sein bei solchen Spielen mitzumachen. „Willst du weitererzählen?“, fragte sie ihn deshalb.
Er nahm die Feder entgegen und dachte nach. Seine Augen waren von einem sanften braun, seine Haare ebenfalls, ihr gefiel sein Aussehen, aber noch mehr der Charakter, den er ihr bisher gezeigt hatte.
„Die Tauben sind den ganzen Tag geflogen und jetzt, als sie Pause machen, ist es bereits dunkel. Sie fragen sich, ob der Mann nach ihnen suchen wird, oder ob es ihm egal ist. Eine von ihnen weist auf die Ringe um ihre Füße hin, die zeigen, zu wem sie gehören und sagt, dass sie diese loswerden müssen. Beinahe gleichzeitig fangen sie alle an, darauf herumzupicken, bis die Ringe endlich ab sind.“
Er macht eine Pause und schaut sie an. Sie lächelt und übernimmt die Feder wieder. „Nachdem sie dies geschafft haben, rücken sie eng zusammen und schlafen ein wenig. Am nächsten Morgen fliegen sie weiter, doch wohin, das bekommt diese Feder nicht mehr mit, da sie abgefallen ist und liegen bleibt. Doch nicht lange, denn bald kommt ein kleines Mädchen und nimmt sie mit, um sie in einen Kopfschmuck zu stecken, mit dem sie und ihre beste Freundin Indianer spielen. Dabei laufen sie in diese Scheune und irgendwie fällt die Feder heraus und bleibt liegen.“
Er grinst. „Die arme Feder, immer wird sie einfach verlassen und liegen gelassen.“
Sie muss lachen. „Ja, aber heute haben zwei Jugendliche sie gefunden und dichten ihr irgendwelche Geschichten an, die alle stimmen oder auch nicht stimmen können. Man wird es nie erfahren, denn das weiß nur die Feder selbst.“
Der Junge nimmt dem Mädchen die Feder ab und steckt sie ihm hinter das Ohr. „Jetzt bist du auch eine Indianerin.“
Sie lächelt und beißt sich leicht auf die Lippe, hofft, dass er sie nun endlich küsst. „Und, bist du mein Indianermann?“
Er lacht. „Genau das bin ich.“

Dann küsst er sie sanft. „Aber ich brauche auch eine Feder, also lass uns suchen gehen.“

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen